26.8.2001
Extreme Programming (XP) ist ein agiler Softwareentwicklungsprozess
für kleine Teams.
Der Prozess ermöglicht, langlebige Software zu erstellen und
während der Entwicklung auf vage und sich rasch ändernde
Anforderungen zu reagieren.
XP-Projekte schaffen ab Tag eins Geschäftswert für den
Kunden und lassen sich fortlaufend und außergewöhnlich
stark durch den Kunden steuern.
Im Kern beruht XP auf den Werten Kommunikation, Einfachheit,
Feedback, Mut, Lernen, Qualität und Respekt.
XP erfordert Disziplin und Prinzipientreue.
Die beschriebenen XP-Techniken sind jedoch wirklich nur die Startlinie.
Das Ziel ist es, den Entwicklungsprozess an die örtlichen
Begebenheiten anzupassen und fortlaufend zu verbessern.
Techniken für ein XP-Team
Ein XP-Team besteht aus zwei bis etwa zwölf Programmierern,
einem Kunden oder mehreren direkten Anprechpartnern auf Kundenseite
und dem Management.
Ferner erfordert der Prozess die Rollen des Trainers und Verfolgers.
Der Trainer bespricht mit dem Team die diszipliniert einzuhaltenden
Techniken und erinnert das Team, wenn es die selbstgewählten Regeln
verletzt.
Der Verfolger nimmt regelmässig den aktuellen Status und die
geleisteten Programmieraufwände auf, um so zuverlässige
Geschichtsdaten über das Projekt zu erhalten.
Zu beachten ist, daß der Kunde in der Regel weder den Geldgeber
noch den wirklichen Endanwender darstellt.
Offene Arbeitsumgebung
Das Team arbeitet zusammen in einem größeren Raum oder eng
aneinander grenzenden Räumen.
Typischerweise ist der "Kriegsraum" mit Wandtafeln und
unzähligen Flipcharts ausgestattet.
Die Arbeitstische stehen meist dicht beieinander im Kreis mit den
Monitoren nach außen gerichtet und sind so gestaltet, daß
zwei Programmierer zusammen bequem an einem Computer arbeiten können.
Kurze Iterationen
Die Entwicklung erfolgt in Perioden von ein bis drei Wochen.
Am Ende jeder Iteration steht ein funktionsfähiges, getestetes
System mit neuer, für den Kunden wertvoller Funktionalität.
Gemeinsame Sprache
Das Team entwickelt in seiner Arbeit ein gemeinsames Vokabular,
um über die Arbeitsweisen und das zu erstellende System diskutieren
zu können.
Die Kommunikation im Team erfolgt stets offen und ehrlich.
Retrospektiven
Jede Iteration endet damit, in einem Rückblick über die eigenen
Arbeitsweisen kritisch zu reflektieren und im Team zu diskutieren,
was gut lief und was in Zukunft anders angegangen werden muß.
Typischerweise werden aus den Dingen, die während dieser
Team-Reviews zur Oberfläche kommen, Regeln generiert,
vom Team akzeptiert, auf Poster geschrieben und im Projektraum zur
Erinnerung an die Wand geheftet.
Ein- oder zweimal jährlich macht das Team für zwei Tage einen
gemeinsamen Ausflug, um in einem Offsite-Meeting formal vor- und
zurückzublicken.
Tägliches Standup-Meeting
Der Tag beginnt mit einem Meeting, das im Stehen gehalten wird,
damit es kurz und lebendig bleibt.
Jedes Teammitglied berichtet reihum, an welcher Aufgabe er gestern
gearbeitet hat und was er heute machen wird.
Probleme werden genannt aber nicht gelöst.
Die meisten Teams treffen sich vor der Wandtafel ihrer Iterationsplanung.
Techniken für die Kunden
Benutzergeschichten
Die Kunden halten ihre Anforderungen in Form einfacher Geschichten auf
gewöhnlichen Karteikarten fest.
Jeder geschriebenen Story-Karte kommt das Versprechen nach,
den genauen Funktionsumfang zum rechten Zeitpunkt im Dialog mit den
Programmierern zu verfeinern und zu verhandeln.
Iterationsplanung
Jede Iteration beginnt mit einem Planungsmeeting, in dem das Kundenteam
seine Geschichten erzählt und mit dem Programmierteam diskutiert.
Die Programmierer schätzen den Aufwand grob ab, den sie zur
Entwicklung jeder einzelnen Geschichte benötigen werden.
Die Kunden wählen in Abhängigkeit der Aufwandsschätzungen
den Kartenumfang für die Iteration aus, der ihren
Geschäftsgegenwert maximieren würde.
Die Programmierer zerlegen die geplanten Geschichten am Flipchart in
technische Aufgaben, übernehmen Verantwortung für einzelne
Aufgaben und schätzen deren Aufwände vergleichend zu
früher erledigten Aufgaben.
Aufgrund der genaueren Schätzung der kleinen Aufgaben verpflichten
sich die Programmierer auf genau soviele Geschichten, wie sie in der
vorhergehenden Iteration entwickeln konnten.
Diese Planungsspiele schaffen eine sichere Umgebung, in welcher
geschäftliche und technische Verantwortung zuverlässig
voneinander getrennt werden.
Anforderungsdefinition im Dialog
Das für die anstehenden Programmieraufgaben nötige
Verständnis der Anforderungen wird fortlaufend in der
Konversation mit den Kunden geprüft und vertieft.
In kurzen Designsessions wird unter Umständen auf eine der
Wandtafeln ein wenig UML gemalt oder es werden Szenarien
mit Hilfe von CRC-Karten durchgespielt.
Während der gesamten Entwicklung dienen die Kunden als
direkte Ansprechpartner zur Bewältigung fachlicher Fragen.
Die verbleibende Zeit verbringen die Kunden mit dem Schreiben
und Ergründen neuer Benutzergeschichten und Akzeptanztests.
Akzeptanztests
Die Kunden spezifizieren während der Iteration funktionale
Abnahmekriterien.
Typischerweise entwickeln die Programmierer ein kleines Werkzeug,
um diese Tests zu kodieren und automatisch auszuführen.
Spätestens zum Ende der Iteration müssen die Tests
erfüllt sein, um die gewünschte Funktion des Systems zu sichern.
Kurze Releasezyklen
Nach ein bis drei Monaten wird das System an die wirklichen Endanwender
ausgeliefert, damit das Kundenteam wichtiges Feedback für die
Weiterentwicklung erhält.
Techniken für die Entwicklung
Programmieren in Paaren
Die Programmierer arbeiten stets zu zweit am Code und diskutieren
während der Entwicklung intensiv über Entwurfsalternativen.
Sie wechseln sich minütlich an der Tastatur ab und rotieren
stündlich ihre Programmierpartner.
Das Ergebnis ist eine höhere Codequalität, grössere
Produktivität und bessere Wissensverbreitung.
Gemeinsame Verantwortlichkeit
Der gesamte Code gehört dem Team.
Jedes Paar soll jede Möglichkeit zur Codeverbesserung jederzeit
wahrnehmen.
Das ist kein Recht sondern eine Pflicht.
Erst Testen
Gewöhnlich wird jede Zeile Code durch einen Testfall motiviert,
der zunächst fehlschlägt.
Die Unit Tests werden gesammelt, gepflegt und nach jedem Kompilieren
ausgeführt.
Design für heute
Jeder Testfall wird auf die einfachst denkbare Weise erfüllt.
Es wird keine unnötig komplexe Funktionalität programmiert,
die momentan nicht gefordert ist.
Refactoring
Das Design des Systems wird fortlaufend in kleinen, funktionserhaltenden
Schritten verbessert.
Finden zwei Programmierer Codeteile, die schwer verständlich sind oder
unnötig kompliziert erscheinen, verbessern und vereinfachen sie den Code.
Sie tun dies in disziplinierter Weise und führen nach jedem Schritt
die Unit Tests aus, um keine bestehende Funktion zu zerstören.
Fortlaufende Integration
Das System wird mehrmals täglich durch einen automatisierten
Build-Prozess neu gebaut.
Der entwickelte Code wird in kleinen Inkrementen und spätestens
am Ende des Tages in die Versionsverwaltung eingecheckt und ins
bestehende System integriert.
Die Unit Tests müssen zur erfolgreichen Integration zu 100% laufen.
Techniken für das Management
Akzeptierte Verantwortung
Das Management schreibt einem XP-Team niemals vor, was es zu tun hat.
Stattdessen zeigt der Manager lediglich Probleme auf und läßt
die Kunden und Programmierer selbst entscheiden, was zu tun gilt.
Dies ist eine große, neue Herausforderung für das Management.
Information durch Metriken
Eine der Hauptaufgaben des Managements ist es, dem Team den Spiegel
vorzuhalten und zu zeigen, wo es steht.
Dazu gehört unter anderem das Erstellen einfacher Metriken,
die den Fortschritt des Teams oder zu lösende Probleme aufzeigen.
Es gehört auch dazu, den Teammitgliedern regelmässig in die
Augen zu schauen und herauszufinden, wo Hilfe von Nöten ist.
Ausdauerndes Tempo
Softwareprojekte gleichen mehr einem Marathon als einem Sprint.
Viele Teams werden immer langsamer bei dem Versuch, schneller zu
entwickeln.
Überstunden sind keine Lösung für zuviel Arbeit.
Wenn Refactorings und Akzeptanztests aufgeschoben werden, muß
der Manager dem Team stärker den Rücken freihalten.
Wenn Teammitglieder müde und zerschlagen sind, muß
der Manager sie nach Hause schicken.
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19.2.2001
Ein erster Einblick
Wie sieht ein Tag mit Extreme Programming aus?
Nun, Sie werden wie gewohnt programmieren.
Obwohl, nicht ganz.
Sie programmieren mit einem Partner.
Sie arbeiten zu zweit an einer kleinen überschaubaren Aufgabe.
Die Zerlegung in Aufgaben haben Sie kurz zuvor im Team in einem kurzen
Design-Meeting mit dem Kunden diskutiert und geplant.
Sie haben die Verantwortlichkeit für eine Reihe von Aufgaben akzeptiert
und suchen sich für deren kurze Dauer jeweils einen Programmierpartner.
Bevor Sie gemeinsam zu programmieren beginnen, analysieren Sie und Ihr Partner
zunächst, was Ihr Auftraggeber überhaupt an Anforderungen stellt.
Dazu möchten Sie unter Umständen direkt mit Ihrem Kunden sprechen.
Er arbeitet wenige Meter von Ihnen beiden entfernt im gleichen Büro,
damit Fragen des Entwicklungsteams unmittelbar diskutiert werden können.
Jetzt wissen Sie beide, was verlangt wird, und Sie können endlich
losprogrammieren.
Einen Augenblick.
Bevor Sie losprogrammieren, überlegen Sie und Ihr Partner sich zunächst
ein Design dafür, wie die Anforderungen überhaupt umgesetzt werden sollen.
Dazu schreiben Sie eine Reihe von Testfällen.
Anschliessend schreiben Sie den Code, der diese Tests erfüllt.
Dabei streben Sie stets die einfachste Lösung an.
Testfall für Testfall erhalten Sie grünes Licht und gehen weiter.
Die Aufgabe gilt dann als erledigt, wenn Ihnen beiden keine weiteren Tests
mehr einfallen, die sich für die aktuellen Anforderungen sinnvoll schreiben
liessen.
Wenn alle Ihre Tests erfüllt sind, verlangt XP von Ihnen, den geschriebenen
Code noch möglichst zu vereinfachen und sein Design zu verbessern.
Der Code darf unter anderem keine duplizierte Logik enthalten und muß jede
Intention ausdrücken, die für das Verständnis des Programms notwendig
erscheint.
Nachdem Sie den Code in Form gebracht haben, lassen Sie Ihre Arbeit durch
die Suite aller im Team gesammelten Tests kontrollieren und integrieren
schließlich Ihren geschriebenen Code mit den Änderungen Ihrer Teamkollegen.
Anschliessend besorgen Sie sich zunächst einmal frischen Kaffee und helfen
eventuell direkt Ihrem Partner bei seiner nächsten Programmieraufgabe.
Ein XP-Tag geht schnell vorüber, da Sie den ganzen Tag lang intensiv
mit Ihren Kollegen programmiert haben.
Das bedeutet nicht etwa, daß Sie Ihrem Partner bei der Arbeit über die
Schulter schauen.
Im Gegenteil.
Im Paar zu programmieren bedeutet aufmerksam in die Programmierepisode
involviert zu sein.
Sie unterhalten sich über den Code, den sie gemeinsam schreiben.
Regelmässig übergeben Sie Ihrem Partner die Tastatur und lassen ihn
"fahren".
Am Ende eines solchen Tages sind Sie erschöpft und, glauben Sie mir,
Sie gehen pünktlich nach Hause, weil Sie acht Stunden lang fokussiert
gearbeitet haben und die geschriebenen Tests Ihnen Vertrauen in die
geleistete Arbeit geben.
Zugegeben, der Name "Extreme Programming" läßt einen extrem
einseitigen Ansatz der Softwareentwicklung vermuten.
Auf den zweiten Blick jedoch widmet sich XP sehr viel intensiver
der Analyse, dem Design und dem Test als schwergewichtige Methoden.
XP bringt uns zurück zu den Wurzeln des Handwerks guter Programmierung
und der Fragestellung, was wirklich zählt, wenn wir hochqualitative Software
erstellen wollen.
Ich möchte Sie dazu einladen, das Handwerk von XP und das Lebensgefühl eines
leichtgewichtigen Prozesses kennenzulernen.
Begleiten Sie mich auf den folgenden Seiten durch ein XP-Projekt und schauen
Sie dem Team bei der täglichen Arbeit über die Schulter und in die Karten.
Programmieren in Paaren
Die Regel lautet: Wer um Hilfe bittet, dem wird Hilfe geboten.
Tatsächlich wird keine Zeile Produktionscode geschrieben, ohne daß zwei Paar
Augen auf den Bildschirm gerichtet sind.
Das bedeutet, Sie programmieren zu zweit an einem Rechnern mit einer Tastatur
und einer Maus.
Sie sitzen nebeneinander, führen ein intensives Gespräch über den
entstehenden Code und wechseln sich regelmässig an der Tastatur ab.
Sie dürfen dabei sogar Spaß haben, denn Programmieren soll Spaß bringen.
Sie wechseln häufiger Ihre Programmierpartner und am Ende der Woche haben
Sie idealerweise mal mit jedem Ihrer Kollegen zusammengearbeitet, damit sich
das aufgebaute Wissen über das gesamte Team verbreitet.
Felix und Ulrich, Dienstag, 1.Iteration, 11.03 Uhr
Ulrich: Was ist unsere Aufgabe?
Felix: Wir müssen die Miete für ausgeliehene DVDs berechnen.
Ulrich: Wie berechnen wir das?
Felix: Der Preis ist abhängig davon, wie lange eine DVD ausgeliehen wird.
Ulrich: Und wie?
Felix: Laß mich mal sehen... Auf unserer Karte steht, reguläre Filme kosten für zwei Tage
2 Euro. Ab dem dritten Ausleihtag dann 1.5 Euro pro Tag.
Ulrich: Okay, wie machen wir das also?
Felix: Mmm, ich schlage vor, wir merken uns zunächst mal, welche Filme ein
Kunde ausleiht und berechnen später die Miete anhand der Ausleihtage.
Ulrich: Warum berechnen wir die Kosten nicht auf der Stelle?
Felix: Das ist später vielleicht notwendig, aber momentan ist das keine
Anforderung.
Ulrich: Schön, wie soll unsere erste Klasse heissen?
Felix: Spannende Frage... Die Verantwortlichkeiten klingen fast danach, als
würde sich die Klasse selbst Customer
nennen wollen.
Ulrich: Fangen wir damit mal an.
Felix: Stop mal! Laß uns gleich einen Test dafür schreiben...
Ulrich: Gut, dazu muß unsere Testklasse von TestCase
aus dem
Test-Framework ableiten.
Felix: Und dann bekommt sie noch einen Konstruktor für den Namen des
Testfalls.
public class CustomerTest extends junit.framework.TestCase {
public CustomerTest(String name) {
super(name);
}
}
Testgetriebenes Programmieren
Die anzustrebende Geisteshaltung muß sein, daß eine Funktion solange nicht
existiert, bis sie einen automatisierten Test besitzt.
Tatsächlich entsteht kein Produktionscode, bevor es nicht einen
entsprechenden Testfall gibt, der fehlschlägt.
Das bedeutet, Sie schreiben einen Test noch bevor Sie den Code schreiben,
der diesen Test erfüllt.
Sie erstellen inkrementell eine umfassende Suite von Unit Tests, die das gesamte Programm
in isolierten Einheiten auf die erwartete Funktion hin überprüft.
Sie verwenden ein Test-Framework, das Ihnen dabei hilft, automatische
Tests zu schreiben und auszuführen.
Sie sammeln und pflegen diese Tests, damit Sie nach jeder Änderung
sicherstellen können, daß die Testsuite zu 100% läuft.
Ulrich: Was ist der erste Testfall?
Felix: Das einfachste wäre, wir fangen mit dem Ausleihen eines Films an.
Ulrich: Und wie?
Felix: Es ist so, daß wir für jede Methode, die funktionieren soll,
Zusicherungen schreiben wollen, um die Funktion abzuprüfen.
Ulrich: Dafür ist die assertTrue
Methode gedacht, die wir aus
TestCase
erben.
Felix: Genau. Als Parameter erwartet sie eine Bedingung, die true
ergeben muß, damit der Testfall als erfüllt gilt. Den Rest erledigt das
Framework.
Ulrich: Und wohin schreiben wir nun den Testcode?
Felix: Am besten schreiben wir dafür eine Testfallmethode testRentingOneMovie
, die
dann die Mietkosten für den Film testet. Das Framework findet automatisch
alle Methoden, die mit test
beginnen, und führt sie aus.
Ulrich: Gut, schreiben wir mal auf, was wir bis jetzt wissen. Wir benötigen
zunächst mal ein Customer
Exemplar. Und dann muß ich so tun, als
gäbe es einfach alle Methoden schon, die ich mir wünsche.
Felix: Richtig. Wir leihen eine DVD für einen Tag aus und es soll 2 Euro
kosten.
Ulrich: Das ist einfach.
public class CustomerTest...
public void testRentingOneMovie() {
Customer customer = new Customer();
customer.rentMovie(1);
assertTrue(customer.getTotalCharge() == 2);
}
}
Möglichst einfaches Design
Die Designstrategie sieht vor, mit einem schlichten Design zu starten und
dieses fortlaufend zu verbessern.
Tatsächlich werden Designelemente, die komplizierter sind, als momentan
unbedingt notwendig wäre, aufgeschoben, selbst wenn nur für wenige Minuten.
Das bedeutet, Sie wählen von vielen verschiedenen Lösungswegen denjenigen,
der am einfachsten erscheint, um einen Testfall zu erfüllen.
Sie programmieren nur, was Sie jetzt tatsächlich benötigen, nicht, was Sie
später vielleicht benötigen.
Sie gehen sogar soweit, daß Sie unnötige Flexibilität wieder aus dem Code
entfernen.
Sie treten den Beweis dafür an, daß die aktuelle Lösung zu einfach ist,
indem Sie einen Testfall schreiben, der ein komplexeres Design rechtfertigt.
Ulrich: Also gut. Du willst, daß ich nur den Test zum Laufen bringe und
alles andere für einen Moment vergesse.
Felix: Ganz genau. Was würdest Du tun, wenn Du nur diesen einen Test
implementieren müsstest?
Ulrich: Hah, auch das ist einfach.
public class Customer {
public void rentMovie(int daysRented) {
}
public int getTotalCharge() {
return 2;
}
}
Felix: Wie extrem! Aber gut...
Ein wenig Testen, ein wenig Programmieren...
Das Zusammenspiel von testgetriebenem Programmieren und einfachem Design
ergibt den Zyklus des minutenweisen Programmierens.
Tatsächlich wird nie länger als zehn Minuten programmiert, ohne die
Feedbackschleife unmittelbar durch konkrete Tests zu schliessen.
Das bedeutet, Sie schreiben neuen Code in so winzigen Schritten, daß Ihr
Code gerade mal den aktuellen Testfall erfüllt.
Sie testen ein wenig, Sie programmieren ein wenig.
Dann testen Sie wieder und programmieren...
Minute für Minute feiern Sie einen kleinen Erfolg.
Sie schreiben keine ganze Klasse in einem Rutsch.
Vielmehr schreiben Sie nur ein paar Zeilen Code, maximal eine Methode auf
einmal.
Ulrich: Als nächstes möchte ich zwei und drei ausgeliehene DVDs testen.
Felix: Immer langsam... Schreib erst mal den Test für zwei Filme.
Der Zweite wird für zwei Tage entliehen. Die Summe soll 4 Euro betragen.
Laß uns dazu die assertEquals
Methode benutzen.
Als Parameter erhält sie den erwarteten Wert und das tatsächliche Resultat.
public class CustomerTest...
public void testRentingTwoMovies() {
Customer customer = new Customer();
customer.rentMovie(1);
customer.rentMovie(2);
assertEquals(4, customer.getTotalCharge());
}
}
Ulrich: Okay, dieser Test wird nicht laufen.
Felix: Woher weisst Du das? Schau nach, Du weisst nie!
Ulrich: Sagen wir einfach, ich bin mir ziemlich sicher.
Felix: Gut, wenn Du es also weisst und nehmen wir an, der Test zeigt grün,
würde das demnach bedeuten, daß entweder unser Test falsch ist oder aber der
Code Dinge tut, die er nicht machen darf, richtig? Mach den Test!
Ulrich: Also gut... Der Test zeigt rot.
Felix: Diesmal kommst Du auch nicht mehr so einfach davon...
public class Customer {
private int totalCharge = 0;
public void rentMovie(int daysRented) {
totalCharge += 2;
}
public int getTotalCharge() {
return totalCharge;
}
}
Evolutionäres Design
Organisches Wachstum scheint eine gute Strategie zu sein, um auf
Veränderung und Ungewissheit reagieren zu können.
Tatsächlich werden Anforderungsänderungen als Chance und nicht
als Problem betrachtet.
Das bedeutet, Sie verhalten sich im Design so, als wüssten Sie wirklich
nicht, was die nächsten Anforderungen sein würden.
Sie entwerfen stets die einfachste Lösung und bringen Ihren Code
anschliessend in die einfachste Form.
Sie vertrauen auf die Tatsache, daß sauber strukturierter Code in jede
Richtung mitziehen kann und daß der Code, den Sie gestern geschrieben haben,
Sie heute und morgen dabei unterstützen wird, weiterhin Code zu schreiben,
und Sie nicht zunehmend daran hindert.
Ulrich: Was ist der nächste Testfall?
Felix: Ein dritter Film, der drei Tage entliehen wird.
Ulrich: Wieviel kostet der Film, wenn er erst nach drei Tagen zurückgegeben wird?
Felix: Jeder weitere Tag kommt auf 1.5 Euro.
Ulrich: Also 3.5 Euro am Tag drei. Macht zusammen 7.5 Euro. Ausserdem können wir Fließkommazahlen nicht mit unendlicher Genauigkeit vergleichen.
public class CustomerTest...
public void testRentingThreeMovies() {
Customer customer = new Customer();
customer.rentMovie(1);
customer.rentMovie(2);
customer.rentMovie(3);
assertEquals(7.5, customer.getTotalCharge(), 1e-3);
}
}
Felix: Ab jetzt müssen wir 1.5 Euro draufschlagen.
Ulrich: Das bedeutet auch, daß totalCharge
ab sofort Fließkommazahl sein
möchte.
public class Customer {
private double totalCharge = 0;
public void rentMovie(int daysRented) {
totalCharge += 2;
if (daysRented > 2) {
totalCharge += 1.5;
}
}
public double getTotalCharge() {
return totalCharge;
}
}
Felix: Nun meckert aber der Compiler rum... Wir müssen wohl auch unseren vorherigen Testfall zum Vergleich von Fließkommazahlen bringen.
public class CustomerTest...
public void testRentingTwoMovies() {
Customer customer = new Customer();
customer.rentMovie(1);
customer.rentMovie(2);
assertEquals(4, customer.getTotalCharge(), 1e-3);
}
}
Natürlicher Abschluß einer Programmierepisode
Bewußt aufhören zu können ist einer der stärksten Programmierzüge.
Tatsächlich ist eine Aufgabe fertig, wenn alle Randbedingungen getestet sind,
die dazu führen können, daß etwas schief geht.
Das bedeutet, Sie schreiben nicht für jede Methode einen Test, sondern nur
für solche, die unter Umständen fehlschlagen könnten.
Sie halten Ihr Wissen über den Code fest, während Sie Tests dafür
schreiben.
Sie wissen, daß Sie erreicht haben, was Sie sich vorgenommen hatten, wenn
alle Ihre Tests erfüllt sind.
Zum Abschluß sei es Ihnen gegönnt, über Ihre Programmierepisode
zu reflektieren.
Sie wollen ja schließlich jeden Tag etwas dazulernen.
Ulrich: Ein Film, der vier Tage entliehen wird?
Felix: Kostet 5 Euro und macht dann insgesamt 12.5 Euro.
public class CustomerTest...
public void testRentingFourMovies() {
Customer customer = new Customer();
customer.rentMovie(1);
customer.rentMovie(2);
customer.rentMovie(3);
customer.rentMovie(4);
assertEquals(12.5, customer.getTotalCharge(), 1e-3);
}
}
Felix: Laß mich mal tippen!
Ulrich: Okay!
public class Customer...
public void rentMovie(int daysRented) {
totalCharge += 2;
if (daysRented > 2) {
totalCharge += (daysRented - 2) * 1.5;
}
}
}
Felix: So, das hätten wir. Haben wir irgendwelche Tests vergessen?
Ulrich: Müsste mit dem Teufel zugehen...
Refactoring
Gutes Design ist nie einfach und niemand bekommt die Dinge im ersten Versuch
in den Griff.
Tatsächlich entsteht ein Design durch schrittweises Wachstum und ständige
Überarbeitung.
Das bedeutet, daß Sie alle Erfahrungen in das Design zurückfliessen lassen
und das Design verbessern, nachdem der Code geschrieben wurde.
Sie refaktorisieren, um Ihren Code so einfach und so verständlich wie
möglich zu machen und jede Art von Redundanz zu beseitigen.
Ulrich: Wenn ich mir unseren Code ansehe, frage ich mich, was die vielen
Zahlen bedeuten. Wir sollten denen Namen geben!
Felix: Vorschläge?
public class Customer...
static final double BASE_PRICE = 2; // Euro
static final double PRICE_PER_DAY = 1.5; // Euro
static final int DAYS_DISCOUNTED = 2;
}
Ulrich: Eigentlich finde ich die Änderung ja zu klein, um nach jedem
Schritt zu testen...
Felix: Du hast Mut, aber wir haben ja noch die Tests...
public class Customer...
public void rentMovie(int daysRented) {
totalCharge += BASE_PRICE;
if (daysRented > DAYS_DISCOUNTED) {
totalCharge += (daysRented - DAYS_DISCOUNTED) * PRICE_PER_DAY;
}
}
}
Ulrich: Irgendwie passen die Konstantennamen nun aber doch nicht mehr zu der
Klasse.
Felix: Stimmt, das hat jetzt schon sehr viel mit der eigentlichen
Preisberechnung für den Film zu tun.
Ulrich: Ziehen wir eine neue Klasse Movie
raus, um dem Ausdruck zu
verleihen!?
Felix: Einverstanden, aber erst die Tests...
public class MovieTest extends junit.framework.TestCase {
public MovieTest(String name) {
super(name);
}
public void testGetCharge() {
assertEquals(2.0, Movie.getCharge(1), 1e-3);
assertEquals(2.0, Movie.getCharge(2), 1e-3);
assertEquals(3.5, Movie.getCharge(3), 1e-3);
assertEquals(5.0, Movie.getCharge(4), 1e-3);
}
}
Felix: Die Preisberechnung verschieben wir einfach auf diese Klasse...
public class Movie {
static final double BASE_PRICE = 2; // Euro
static final double PRICE_PER_DAY = 1.5; // Euro
static final int DAYS_DISCOUNTED = 2;
public static double getCharge(int daysRented) {
double result = BASE_PRICE;
if (daysRented > DAYS_DISCOUNTED) {
result += (daysRented - DAYS_DISCOUNTED) * PRICE_PER_DAY;
}
return result;
}
}
Felix: Unser Customer
wird dadurch wieder ganz schlank...
public class Customer...
public void rentMovie(int daysRented) {
totalCharge += Movie.getCharge(daysRented);
}
}
Fortlaufende Integration
Neuer Code wird schnellstmöglich in die neueste Version integriert.
Tatsächlich wird mehrmals täglich ein getesteter Build des gesamten
Programms erstellt.
Das bedeutet, daß Sie am Ende jeder Programmierepisode und wenigstens einmal
am Tag Ihren geschriebenen Code in das Programm integrieren und versionieren.
Sie laden Ihre Änderungen auf einen dedizierten Integrationsrechner,
integrieren Ihren Code und beseitigen entstehende Konflikte.
Sie führen die Tests aus und geben Ihren Code frei, sobald alle Tests
erfolgreich ausgeführt werden.
Die gesamte Integrationsprozedur dauert gerade so lange, daß Sie sich eine
frische Tasse Kaffee kochen und sie austrinken können.
Felix: Laß uns unseren Code integrieren und Mittag machen!
Ulrich: Milchkaffee oder Chinese?
Nächster Artikel in dieser Serie:
Unit Tests mit JUnit
Danksagungen
Leah Striker,
Michael Schürig,
Meike Budweg,
Tammo Freese,
Ulrike Jürgens,
Hans Wegener,
Marko Schulz,
Antonín Andert,
Manfred Lange
und Julian Mack
haben das Beispiel entstehen sehen und nützliche
Verbesserungsvorschläge gemacht.
Der Ehrentitel eines Meisterrezensenten sei an Rolf F. Katzenberger verliehen.